01.05.2009

Dauereinsatz nach Einsturz des Kölner Stadtarchivs

Mit dumpfem Grollen und lautem Knirschen kündigt sich am 3. März um kurz vor 14 Uhr in der Kölner Südstadt ein Unglück mit gewaltigen Ausmaßen an. Innerhalb weniger Minuten rutscht der Boden unter dem Historischen Archiv der Stadt Köln in die Baugrube der U-Bahn und es öffnet sich ein 25 Meter tiefer Krater. In das Loch stürzen das siebengeschossige Archivgebäude und zwei angrenzende Wohnhäuser. Eine dichte weiße Staubwolke steht über dem rund 60 Meter langen Abschnitt der Severinstraße und nimmt die Sicht auf den Trümmerberg.

Zwei Menschen finden unter den tonnenschweren Trümmern den Tod, eine Person wird verletzt. Fast 30 Regalkilometer wertvoller Dokumente, Bücher und Akten, darunter mittelalterliche Handschriften von Albertus Magnus und Nachlässe von Heinrich Böll und Konrad Adenauer, werden verschüttet.

Etwa eine Viertelstunde nach dem Einsturz alarmiert die Berufsfeuerwehr Köln das Technische Hilfswerk. THW-Fachberater nehmen in der Technischen Einsatzleitung vor Ort und in der Einsatzleitung im Führungszentrum der Berufsfeuerwehr ihre Arbeit auf. Innerhalb kurzer Zeit mobilisiert der Landesverband Nordrhein-Westfalen THW-Einheiten, die auf die Rettung von Verschütteten spezialisiert sind, und zieht sie im Großraum Köln zusammen. Zu den Schwerpunktaufgaben des THW gehören das Abstützen instabiler Gebäude, die lasergestützte Überwachung einsturzgefährdeter Bauteile, das Einreißen von Garagen und Mauern sowie das Bergen von Archivmaterial und persönlichen Gegenständen. THW-Einsatzkräfte leuchten das Areal aus und sichern die Stromversorgung. Bis zum 14. März sind durchgehend THW-Kräfte an der Unglücksstelle im Einsatz. In den darauffolgenden Wochen arbeiten die Einsatzkräfte von THW und Feuerwehr nur noch tagsüber in den Trümmern. Durchschnittlich sind pro Schicht rund 100 THW-Kräfte an der Schadenstelle. Insgesamt kommen mehr als 1.500 Helferinnen und Helfer aus mehr als 70 Ortsverbänden und vier Landesverbänden in den Einsatz oder stehen in Bereitschaft.

Einsatzkräfte in Bereitschaft

Kurz nachdem die großen Ausmaße des Einsturzes bekannt werden, setzen sich Einheiten aus den THW-Landesverbänden Nordrhein-Westfalen und Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland in Richtung Köln in Bewegung. 300 Einsatzkräfte aus 20 Ortsverbände sammeln sich bis in die Abendstunden des 3. März in einem so genannten Bereitstellungsraum in Köln. Unter anderem acht Fachgruppen Räumen mit schweren Radladern und einem Kettenbagger, mehrere Fachgruppen Beleuchtung, eine Fachgruppe Ortung mit Rettungshunden, eine Fachgruppe Wasserschaden/Pumpen, eine Fachgruppe Führung/Kommunikation, eine Fachgruppe Logistik sowie Bergungsgruppen und Zugtrupps stehen am Rhein in Bereitschaft.

Licht und Strom

In der Nacht auf den 4. März kommen die ersten THW-Einheiten in der Kölner Südstadt in den Einsatz. Sie unterstützen die Suche von Feuerwehr und Deutschem Roten Kreuz (DRK) nach den beiden verschütteten Personen. Vermisst werden ein Bäckerlehrling und ein Student. Das THW leuchtet die großflächige Unglücksstelle von mehreren Seiten aus. Diverse Lichtmaste und Scheinwerfer auf umliegenden Gebäuden erleichtern den Einsatzkräften die Arbeit auf dem Trümmerkegel. Auch in den folgenden Nächten stellen THW-Kräfte die Beleuchtung und die Stromversorgung der Einsatzstelle sicher.

Für die täglichen Pressekonferenzen richtet die Feuerwehr am 8. März einen Raum im nahe gelegenen ehemaligen Polizeipräsidium ein. Das THW sorgt für ausreichend Licht in dem Konferenzraum. Weitere Scheinwerfer betreiben THW-Einsatzkräfte in einer Halle am Kölner Stadtrand, in der aus dem abtransportierten Schutt Archivmaterial heraussortiert wird.

Räumen und Bergen

Mit Radladern legt das THW am Abend nach dem Einsturz zwei Garagen nieder und befestigt die Zufahrt, um von hinten einen Zugang zur Schadenstelle zu schaffen. Aus nicht zerstörten Gebäudeteilen des Stadtarchivs stellen vier Bergungsgruppen mehrere Tonnen schützenswerter Kulturgüter wie zum Beispiel historische Urkunden, Protokolle und Dokumente sicher.

In einem weiteren Einsatzabschnitt ist das THW ab dem 6. März tätig: Sämtliche Trümmer von der Einsturzstelle und die geborgenen Archivalien werden von Lastwagen zu einer Halle am Rand des Kölner Stadtgebiets transportiert. Hier durchsuchen THW-Helfer und weitere Einsatzkräfte die Schutthaufen nach persönlichen Gegenständen der Anwohner und nach Archivmaterial.

Da das einsturzgefährdete Wohnhaus Severinstraße 232 die Rettungsarbeiten behindert, wird das Gebäude am 10. März abgebrochen. Zuvor räumen THW-Einsatzkräfte das Hab und Gut der Bewohner aus der Ruine. In der Nacht auf den 11. März entfernen Einsatzkräfte einer Bergungsgruppe am instabilen Bürogebäude Severinstraße 218 überhängende Mauerteile ein. Auch mehrere Möbel drohen abzustürzen und werden vom THW gesichert.

Nach der Bergung des zweiten Verschütteten am 12. März konzentriert sich die Arbeit von THW und Feuerwehr nur noch auf die Sicherung der Kulturgüter. Bergungsgruppen durchsuchen den Schutt nach Dokumenten sowie Akten und stellen die wertvollen Funde sicher. In der Folge wird die Anzahl der Einsatzkräfte deutlich verringert. Am 13. März sind noch 45 THW-Helfer an der Unglücksstelle. Ab dem 14. März arbeiten die Einsatzkräfte dann ausschließlich tagsüber. In Zusammenarbeit mit der Feuerwehr bergen täglich etwa 20 THW-Angehörige Archivgut.

Überwachen und Abstützen

Der Zusammenbruch des Archivgebäudes und der Wohnhäuser hat auch umliegende Bauten in Mitleidenschaft gezogen. Das gegenüberliegende Gymnasium, ein angrenzendes Bürogebäude und weitere Wohnhäuser an der Severinstraße sind einsturzgefährdet. Ab dem 4. März überwacht das THW mit den beiden lasergestützten Einsatzstellen-Sicherungssystemen (ESS) aus den Landesverbänden Nordrhein-Westfalen und Bayern millimetergenau Bewegungen der Gebäude. Dazu haben Einsatzkräfte mehrere Messpunkte angebracht, die durch das vom THW entwickelte System ständig automatisch beobachtet werden. Dadurch werden mögliche Verschiebungen von Mauern und Trümmerteilen berechnet. Mehrmals meldet das ESS in den folgenden Tagen Bewegungen der Gebäude. Nach jedem Alarm wird die Einsatzstelle sofort geräumt. Erst nach einer Bewertung der Messergebnisse durch die Baufachberater des THW und in Abstimmung mit der Einsatzleitung werden die Rettungsarbeiten fortgesetzt.

Zusätzlich bringen THW-Helfer an einigen einsturzgefährdeten Gebäuden rechts und links von Rissen im Mauerwerk etwa 40 Markierungen an – so genannte Rissmonitore. Hierdurch können mögliche Bewegungen weiterer Gebäudeteile abgelesen werden. Parallel dazu stützen Bergungsgruppen mit den vorgefertigten Elementen des Abstützsystems Holz (ASH), mit Bauteilen des flexiblen Einsatzgerüstsystems (EGS) und mit Bausprießen instabile Gebäudeteile des Gymnasiums und des Bürogebäudes ab.

Am 8. März bringen THW-Einsatzkräfte weitere Messpunkte für das ESS im U-Bahntunnel an. Damit werden die Wände und die Decken der unterirdischen Baustelle auf Veränderungen kontrolliert. Zur Sicherung der arbeitenden Einsatzkräfte stützen am 9. März Bergungsgruppen mit dem ASH weitere Gebäudeteile ab.

Pumpen

Ab der Nacht auf dem 5. März setzt das THW eine Hochleistungspumpe an der Unglücksstelle ein. Aus dem Krater des U-Bahntunnels pumpt die Feuerwehr Grund- und Regenwasser zunächst in ein Übergabebecken. Von dort fördert die THW-Pumpe das Wasser in die Kanalisation.

Versorgung und Transporte

Eine Fachgruppe Logistik sorgt abends und während den Nächten für die Verpflegung der 350 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei, Stadtverwaltung, Sanitätsdiensten und THW. Die Logistiker des THW übernehmen auch die Versorgung der Stromerzeuger und Fahrzeuge mit Sprit. Für den sicheren Abtransport der empfindlichen Unterlagen aus dem Archiv bringen THW-Einsatzkräfte am 4. März rund 50 fabrikneue Müllcontainer an die Schadenstelle.

Führung und Kommunikation

Zur Führung der eigenen Einheiten richtet das THW direkt neben der Technischen Einsatzleitung eine Führungsstelle ein. Von dort wird die Arbeit im Einsatzabschnitt „THW“ koordiniert. Die Führungsstelle vor Ort steht in engem Kontakt mit den Führungs- und Koordinierungsstäben der Geschäftsstelle Köln und des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. Besetzt sind außerdem die drei Kölner THW-Ortsverbände. Sie übernehmen Lotsendienste für externe THW-Einheiten und erledigen Transportfahrten. Zudem stehen die Gelände der Unterkünfte als Bereitstellungsräume zur Verfügung.

Beteiligte THW-Ortsverbände:
Unter anderem Aachen, Alsdorf, Arnsberg, Bad Honnef, Berchtesgadener Land, Bergheim, Bergisch Gladbach, Beuel, Bielefeld, Bonn, Bornheim, Brilon, Brühl, Büren, Dinslaken, Düren, Düsseldorf, Emmendingen, Erkelenz, Eschweiler, Euskirchen, Groß-Gerau, Haan, Halle, Hattingen, Herne, Herzogenrath, Hückelhoven, Hürtgenwald, Jülich, Köln Nord-West, Köln-Ost, Köln-Porz, Leverkusen, Lippstadt, Moers, Mönchengladbach, Nörvenich, Olpe, Ratingen, Remscheid, Recklinghausen, Schleiden, Schopfheim, Schwelm, Siegburg, Siegen, Soest, Solingen, Stolberg, Unna-Schwerte, Velbert, Wanne-Eickel, Wermelskirchen, Wetter, Witten und Wuppertal.